(Kapitel 3)
3. Erbe : Wegweiser
Drei Vorläufer haben bis heute maßgeblichen Einfluss auf unser Gemeinschaftsleben und sind Wegweiser für unsere Zukunft:
Die frühen Hutterer. Diese Gemeinschaftsbewegung entstand in Mitteleuropa nach 1525, als die Wiedertäufer Felix Manz, Konrad Grebel, und Georg Blaurock durch die Annahme der Glaubenstaufe die radikale Reformation auslösten. Trotz blutiger Verfolgungen folgten alsbald Zehntausende ihrem Beispiel. Vereint im Bekenntnis zu den Schleitheimer Artikeln, traten sie für die Freiheit des Gewissens ein und für eine Rückkehr zum ursprünglichen Christentum im Gehorsam auf Jesu Wort in den Evangelien. Sie lehnten Waffengewalt, die Kindertaufe und die Amtskirchen ab.
Ein Teilbereich dieser Bewegung, die nach ihrem Gründer Jakob Hutter als „Hutterer“ bekannt wurde, wohnte in Lebensgemeinschaften und teilte gemeinschaftlich Geld und Besitz, Arbeit und Häuser. Ihr tägliches Gemeinschaftsleben gründeten sie auf geschwisterliche Liebe untereinander. In ihrem unerschrockenen Einsatz, das Evangelium zu verkünden, erlitten Hunderte im 16. und 17. Jahrhundert den Märtyrertod.
Das Zeugnis der frühen Hutterer inspirierte die Gründungsmitglieder unserer Gemeinschaft in den 1920er Jahren, so dass sie in Kontakt mit deren in Nordamerika lebenden Nachfahren traten. 1930 wurde Eberhard Arnold von allen Gruppen der hutterischen Kirche als Pastor bestätigt.
Wir sind bestrebt, in dem Geist der ursprünglichen Hutterer zur Zeit ihrer ersten Liebe und aktiven Missionstätigkeit (1528–1578) zu leben, auch wenn gegenwärtig keine Verbindung zwischen unserer Gemeinschaft und der hutterischen Kirche besteht. Wir schätzen die Chroniken und geistlichen Schriften der Hutterer, wie beispielsweise die von Jakob Hutter, Peter Riedemann, Ulrich Stadler und Peter Walpot. 1
Die Blumhardts. Johann Christoph Blumhardt (1805– 1880) und sein Sohn Christoph Friedrich Blumhardt (1842–1919) waren bekannte württembergische Pastoren, die alle Fragen des Lebens mit der Grundüberzeugung angingen, dass Jesus Sieger ist. Dies galt ganz gleich, ob es sich um die persönlichen Belange der sie um Rat Ersuchenden oder um die allgemeineren sozialen und politischen Missstände handelte. Beide Männer lebten in glühender Erwartung des Reiches Gottes, von dem sie hofften, dass es sich bald auf der Erde realisieren und nicht nur einigen wenigen Erwählten, sondern der gesamten Menschheit Erlösung bringen würde.
Die mutige Glaubenshaltung der Blumhardts und ihre Naherwartung des Reiches Gottes sind uns auch heute noch Inspiration und Wegweiser. 2
Die europäische Jugendbewegung (1896–1925). Die Gründung unserer Gemeinschaft fällt in die Zeit vor dem Aufkommen des Nationalsozialismus, als eine Welle von Jugendbewegungen sich über Deutschland, Österreich, Polen und die Schweiz erstreckte. Auch wenn die jungen Leute innerhalb dieser Bewegungen unterschiedlichste politische und religiöse Ansichten vertraten, teilten sie doch gewisse gemeinsame Überzeugungen. So lehnten sie den Materialismus und die Äußerlichkeiten sozialer und klassengebundener Konventionen ab zugunsten von Wahrhaftigkeit, Freiheit, Gleichheit und Einfachheit. Man liebte das Wandern, den Aufenthalt in der Natur, die volkstümliche Kultur und das Landleben. Viele von ihnen ebneten den Weg für neue Ansätze in der Pädagogik und der Arbeit. Im Sinne des jüdischen Philosophen und Pazifisten Gustav Landauer, betrachteten sie das Gemeinschaftsleben als eine Antwort auf Armut und soziale Nöte. In den frühen 1920er Jahren wurden die Ideale der Jugendbewegung in über hundert Gemeinschaftssiedlungen in ganz Deutschland verwirklicht, ebenso wie auch in den Kibbuzim, die von jüdischen Ablegern der Jugendbewegung im Heiligen Land gegründet worden waren.
Ab Mitte der 1920er Jahre verloren die Jugendbewegungen in Deutschland an Kraft. Politische Verbindungen raubten ihnen ihre frühere Unabhängigkeit. Nach 1933 richtete das Hitlerregime sie zugrunde, indem es ihre Energie für seine eigenen Zwecke usurpierte. Ihre ursprüngliche Wahrhaftigkeit und ihre entschiedene Betonung von Schlichtheit und Achtung für die Schöpfung bleiben für unsere Gemeinschaft bis heute Wesensmerkmale.
Auch unsere eigene Bewegung wird einmal wieder vergehen, aber der Lebensstrom, an dem sie Anteil hat, kann niemals versiegen. Wir möchten Teil dieses lebendigen Stromes aus Gottes Geist bleiben. Möglich ist dies nur durch eine immer neue Begegnung mit Christus. Als Gemeinschaft und als Einzelne bedürfen wir immer wieder Zeiten der Erneuerung durch ihn. Gott ist der Herr der Geschichte. So wie er die Schicksale der Nationen durch die Zeiten bestimmt und treu sein Bundesvolk umsorgt hat, so wird er auch weiterhin walten und handeln. Wir erwarten seine Zukunft: den Tag, an dem er alle seine Verheißungen wahr machen, sein Friedensreich aufrichten und die Schöpfung erneuern wird.