(Kapitel 6: Leben in Gemeinschaft)
6. Leben in Gemeinschaft : Gemeinsame Arbeit
Die Arbeit kann nicht vom Gebet und das Gebet nicht von der Arbeit getrennt werden. So ist unsere Arbeit auch Gottesdienst, da unser Glaube und Alltag ein einziges Ganzes bilden. Denn auch die kleinste Aufgabe kann Gott als Gebet geweiht sein, wenn sie liebevoll und mit Hingabe so geleistet wird, dass sie für Christus selbst getan ist. In Worten, aber nicht in Taten zu beten, ist Heuchelei.
Die Arbeit ist Gebot Gottes und ist ein Wert in sich. Gott gab die Erde den Menschen zur Freude, um sie zu kultivieren und als gute Verwalter an seiner Statt ehrfürchtig zu pflegen. Deshalb schätzen wir die Arbeit auf dem Lande. Wir würdigen die körperliche Arbeit, die Kraftanstrengung der Muskeln und Hände und des Handwerkers Geschick. Wir schätzen ebenso die geistige Tätigkeit, das inspirierte Schaffen des Künstlers, das Forschen des Wissenschaftlers, die Kreativität des Erfinders und die Fertigkeiten des Fachmanns. Welcher Art auch immer unsere Arbeit sein mag, wir sind aufgefordert, sie nach unseren besten Möglichkeiten zum Dienst des Reiches Gottes zu verrichten.
Im Gemeinschaftsleben dient die Arbeit nicht an erster Stelle kommerziellen Zwecken und ihr Wert lässt sich daher nicht nach Leistung und Gewinn messen. So ist auch keine Arbeit privilegiert oder stigmatisiert. Beispielsweise ist die Arbeit in der Wäscherei genauso angesehen wie die Arbeit eines Technikers oder Arztes. Wir sind alle Brüder und Schwestern und keiner steht höher oder niedriger. Dementsprechend haben unsere Beziehungen untereinander niemals den Charakter eines vertraglich geregelten Über- und Unterordnungsverhältnisses, wie es typisch für ein Arbeitsverhältnis ist. Vielmehr sind wir gerufen, von einer anderen Sozial- und Wirtschaftsordnung Zeugnis zu geben, die auf Glauben, Liebe und gegenseitigem Vertrauen beruht.
Weil die gemeinsame Arbeit ein ebenso integraler Bestandteil unserer Berufung wie die Gütergemeinschaft ist, können wir weder von der Gemeinschaft noch voneinander eine Vergütung für die geleistete Arbeit verlangen. Die Fürsorge, die uns in Form von Nahrung, Unterkunft, medizinischer Versorgung und anderen Lebensnotwendigkeiten zuteil wird, erhalten wir nicht etwa in Erfüllung eines Anspruchs oder im Verhältnis zu erbrachten Leistungen, sondern nach Bedarf. Dem Armutsgelübde der Mitglieder sowie dem Glauben und der Praxis unseres gemeinsamen Lebens entsprechend, erhält kein am Gemeinschaftsleben Teilnehmender für das von ihm Eingebrachte, sei es in Form von Arbeit oder anderweitig, irgendeine Kompensation.
Im Auftrag der Liebe zu arbeiten, ist unsere Freude. Wir bringen, soweit es uns möglich ist, bis ans Ende unseres Lebens unsere Talente und Kräfte ein. Wir sind nicht zu einem bestimmten Beruf oder Gewerbe berufen, sondern zu einem Leben in Gemeinschaft. Keinem von uns geht es darum, eine Karriere zu machen. Wir sind bereit, unsere Arbeitskraft so einzusetzen, wie sie benötigt wird, ungeachtet unserer Vorlieben oder unserer vorherigen Ausbildung und Erfahrung. So sind wir auch jederzeit bereit, eine andere Aufgabe zu übernehmen.
Jeder Bruderhof ernennt bestimmte Mitglieder, die die gemeinsame Arbeit koordinieren, sich um das Wohlergehen aller Arbeitenden kümmern und sicherstellen, dass die Arbeitsunfähigen versorgt sind.
Die Einnahmen aus den Gemeinschaftsunternehmen werden zur Verwirklichung des Auftrags der Gemeinschaft verwendet, welche sind: Verkündigung des Evangeliums, Aufbau und Erhalt des gemeinschaftlichen Lebens, Bildungsarbeit, Hilfe für Bedürftige und Gastfreundschaft.
Notwendigerweise agieren diese Unternehmen in einem Wirtschaftssystem, dessen Werte von denen abweichen können, die unser Leben innerhalb der Gemeinde bestimmen. Es ist daher umso wichtiger, dass jedes Gemeinschaftsunternehmen unseren Auftrag und unser Bekenntnis widerspiegelt und sich beiden unterordnet, selbst wenn es auf Kosten der Effizienz und Profitabilität geht. Unsere Leitlinien sind:
Solidarität: Christi Goldene Regel – „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch!“ – erfordert Solidarität mit allen Menschen und Achtung ihrer Würde als im Ebenbild Gottes erschaffene Mitmenschen. Es ist eine Sünde, andere nur als Mittel zu einem ökonomischen Zweck zu behandeln.
Ethisches Handeln: Die Schrift verlangt von uns ehrliches Handeln, die Beachtung des jeweiligen Landesrechts und die Rücksichtnahme auf die Rechte und Bedürfnisse anderer. Die Art und Weise, wie wir unsere Unternehmen führen, sollte davon Zeugnis ablegen.
Arbeitsethos: Wir bemühen uns, fleißig zu arbeiten und bei allem, was wir herstellen, eine hohe Verarbeitungsqualität zu erhalten. Dies soll auch die Liebe widerspiegeln, mit der wir unsere Arbeit verrichten.
Pflege und Erhaltung der Schöpfung: Die Natur ist ein Werk Gottes, das uns seine Liebe und Herrlichkeit offenbart. Er hat sie uns zur sorgsamen Pflege anvertraut. Beim Umgang mit der Erde und ihren Ressourcen sollten wir uns stets von der Achtung für seine Schöpfung leiten lassen.
Wir erkennen an, dass alle Einkünfte, die von den Gemeinschaftsunternehmen erzielt werden, letztendlich nicht unsere Leistung sind, sondern eine Gabe Gottes, die wir zu seinem Dienste einzusetzen haben.